Mörder und Polizist

 

 

 

 

 

 

 

Er rannte um die nächste Kurve, in die er gerade noch einbiegen konnte. Beinahe wäre er gegen die Wand gerannt. Naja, die Lücke zwischen den beiden Hauswänden war auch verdammt eng. Aber das spielte gerade sowieso keine Rolle, wie ohnehin so wenig in diesem Moment. Das einzige, was jetzt wichtig war, war dieser Sprint, von dem jetzt fast sein ganzes Leben abhing. Er hätte seine Arme erbarmungslos aufgeschrammt, wenn es von Nöten wäre, aber das machte ihn im Moment auch nicht schneller. Er legte noch einen versteckten Turboschalter bei ihm um und nur noch ein paar Meter trennten ihm von seinem heißbegehrten Ziel. Er streckte die Hand nach ihm aus. Doch plötzlich war er von der Bildfläche verschwunden. Und er knallte gegen eine der Hauswände. Sein Ziel war kurz zuvor nach rechts abgebogen und das Ziel seines Zieles war wahrscheinlich genau das: dass er gegen die Hauswand rannte.

 

 

 

Langsam schälte er sich wider von der Hauswand und sprintete sofort weiter. Für Schmerzen hatte er keine Zeit. Da gab es nur eins: Zähne zusammenbeißen und weiter!  Das hier war viel zu wichtig, zu viel stand auf dem Spiel, als sich jetzt von so ein paar Kopfschmerzen aufhalten zu lassen. Doch sein Schädel schmerzte höllisch und plötzlich fühlte sich die eine Stelle auf seiner Stirn so feucht an. Vorsichtig schielte er auf seine Stirn während er immer weiter rannte. Da rann etwas dickflüssiges, aber vor allem knallrotes. Blut. Nein, jetzt bloß nicht schwach werden, immer weiter! Er schloss für eine Sekunde die Augen und biss die Zähne zusammen. Jetzt bloß nicht…

 

 

 

„Fabian, geht es dir gut?“

 

 

 

Sein Ziel blieb plötzlich stehen und ging auf ihn zu.

 

 

 

„Du blutest…“

 

 

 

Fabian schüttelte den Kopf und ließ sich auf den Boden fallen.

 

 

 

„Frau Maibaum! Fabian hat sich verletzt!“

 

 

 

„Tim, was ist los? Was ist den passiert?“

 

 

 

Frau Maibaum kam herangeeilt und musterte Fabian ausgiebig.

 

 

 

„Wir haben nur wieder Mörder und Polizist gespielt…“, schmollte Tim.

 

 

 

„Dieses Mal wohl mit einem nicht sonderlich guten Ausgang für den…“

 

 

 

Sie zögerte kurz.

 

 

 

„Polizisten“, beendete sie ihren Satz. Vermutlich hatte sie das an den Handschellen gesehen, die sich Fabian mit einem Tuch als Gürtel umgebunden hatte.

 

 

 

„Was hat der Mörder den gemacht?“, fragte Frau Maibaum neugierig.

 

 

 

„Raten sie mal!“, forderte Tim mit leichtem Sarkasmus in der Stimme. „Ich habe jemanden umgebracht! Lena liegt noch da hinten“, triumphierte er.

 

 

 

„Warum muss ich immer die Leiche spielen?!“, hörte man eine Mädchenstimme protestieren.

 

 

 

Frau Maibaum unterdrückte ein kleines Lachen und ging mit Fabian an der Hand in das Ganztagsgebäude gefolgt von Tim und Lena.

 

 

 

„Muss er jetzt sterben?“, fragte Lena mit aufrichtiger Besorgnis in der Stimme.

 

 

 

„Nein“, sagte Frau Maibaum mit einem Schmunzeln. „Das heilt ganz schnell wieder“

 

 

 

Nachdem sie das ganz besondere Zimmer betraten, in das nur die Schwerverwundeten kamen (wer jemals drin gewesen war, wurde stark bewundert), klebte Frau Maibaum liebevoll ein dunkelblaues Pflaster mit Totenköpfen auf Fabians Stirn und schob ihn wieder in den Flur.

 

 

 

„Wow, das sieht aber cool aus!“, riefen Tim und Lena im Chor.

 

 

 

Fabian reckte Stolz seinen Kopf und posaunte: „Es tut gar nicht mehr weh!“ und die drei rannten nach draußen.

 

 

 

„Was wollen wir jetzt machen?“

 

 

 

Lenas Kopf schweifte umher auf der Suche nach neuen Inspirationen. Sie hielt bei dem gigantischen Baum inne. Er diente schon als Geheimagentenbasis, Piratenschiff oder als Rakete, die auf einem fremden Planeten landete auf dem Kommandeur Tim und Captain Fabian bereits die Lenasianer kennenlernten.

 

 

 

„Kommt!“, rief sie und stürmte drauf los.

 

 

 

Tim, Lena und Fabian setzten sich auf die Wurzeln ihres großen Freundes und Lena begann zu erzählen:

 

 

 

„Wir sind auf einer einsamen Insel gestrandet und müssen um unser Überleben kämpfen.“

 

 

 

„Ich gehe Essen suchen!“

 

 

 

Und schon war Tim weg.

 

 

 

„Was soll ich machen?“

 

 

 

Fabian sah Lena mit großen, erwartungsvollen Augen an. Sie grübelte kurz.

 

 

 

„Ah, ich weiß! Du gehst da hinten hin und suchst irgendwas und ich suche hier vorne und dann treffen wir uns. Du bist schon sehr lange hier verschollen und hilfst uns, wieder von hier weg zu kommen!“

 

 

 

Lena war sichtlich stolz auf ihren Vorschlag. Auch Fabian nickte zufrieden und flitzte los.

 

 

 

Mit Stöcken, Steinen und sonstigen Dingen, die irgendwie nützlich erschienen, beladen, stieß Lena etwas später mit viel Elan gegen Fabian. Dieser stellte sich, nachdem er sich die Schulter rieb und leise „Aua“ wisperte, in Kampfposition und hielt seinen Bambusstab bereit für seinen Angriff vor sich.

 

 

 

Lena stolperte sofort ein Stück nach hinten.

 

 

 

„Bitte, ich wollte nicht in dein Territorium einbrechen. Tu mir nichts. Ämm… Ich,… ich meine wir s-sind hier gestrandet.“

 

 

 

Ihre Stimme überschlug sich fast.

 

 

 

„Wer ist wir?“

 

 

 

Die gekünstelte, tief männlich und bedrohliche Stimme war für Außenstehende äußerst unterhaltsam, doch Lena und Fabian waren voll in ihrem Element.

 

 

 

„Ich und Tim. Wir sind gemeinsam hier gestrandet.“

 

 

 

„Na gut, du scheinst mir vertrauenswürdig… Folge mir!“

 

 

 

Mit stolz geschwellter Brust marschierte Fabian voran, Lena dicht hinter ihm.

 

 

 

„Oh, vielen, vielen Dank! I…“

 

 

 

„Leute, Leute!!!“ Tim rannte zu Lena und Fabian. Seine Aufgebrachtheit war echt.

 

 

 

„Was ist los?“

 

 

 

„Ich habe etwas gefunden!“